Brief eines Spenders 2003

Den folgenden Brief eines langjährigen Spenders erhielten wir im März 2003. Er freute uns sehr, zeugt er doch von großer Sachkenntnis und Anteilnahme am Schicksal der Russlanddeutschen und ist einmal mehr ein Zeichen dafür, dass Verständnis nur über Wissen möglich ist:

Sehr geehrte, liebe Friedlandhilfe,
schon seit langem verfolgt mich der Gedanke, ich müsse doch einmal an Sie schreiben, um mich für Ihre so informativen und sehr persönlichen Briefe recht herzlich zu bedanken: Dies soll hiermitgeschehen!
Da meine Frau und ich die Arbeit einer ganzen Reihe sozialer und kultureller Hilfswerke unterstützen, haben wir gute Vergleichsmöglichkeiten und ich darf Ihnen sagen, dass die wenig aufwendige, dennoch stark motivierende Art, in der die "Friedlandhilfe" den Kontakt zu den Spendern hält, uns ganz besonders gefällt.

Vor kurzem haben Sie uns auf" Ritas Leute*" aufmerksam gemacht. Wir brauchten Kauf und Lektüre nicht zu bereuen. Obwohl ich über die Russlanddeutschen, ihr hartes Schicksal in der Sowjetunion und über die Probleme der Aussiedler, insbesondere der Spätaussiedler, schon viel wußte, habe ich dank der informativen Arbeit von Frau Lachauer noch eine Menge hinzugelernt - und das auf unterhaltsame Art und Weise. Insbesondere der Weg der mennonitischen Gemeinden von Westpreußen bis in die Gegenwart war mir in vielem neu, ebenso der dramatische Verfall ganzer Regionen - am Beispiel Karagandas - nach dem Zerfall der Sowjetunion.

Mein Vertrautsein mit Geschichte und Problemen der Russlanddeutschen beruht nicht nur auf historischem und menschlichem Interesse sondern auch auf früherer dienstlicher Tätigkeit. Denn nach meinem Ausscheiden aus der Bundeswehr mit erst knapp 60 Jahren war ich für fast ein Jahrzehnt Geschäftsführer der dem BMI zugeordneten Stiftung für ehemalige politische Häftlinge, die zwar in erster Linie für die Betreuung ehemaliger politischer Häftlinge aus der SBZ/DDR zuständig war, zu deren Klientel aber u.a. auch diejenigen russlanddeutschen Aussiedler gehörten, die beim Vordringen der Roten Armee 1943/44 aus der Ukraine meist in den Warthegau umgesiedelt, durchweg eingebürgert und 1945/46 unter erheblichen Verlusten in die
Sowjetunion. vor allem nach Kasachstan. verschleppt wurden. wo sie dann - bis Anfang 1956 " unter der Kommandantur" - das von Frau Lachauer geschilderte Schicksal der Wolgadeutschen teilten, soweit sie nicht wegen "Landesverrat" zu Straflager verurteilt wurden. Aussiedler aus diesem Personenkreis und ihre im Gewahrsam geborenen Kinder hatten zwar, wie Ihnen bekannt, Anspruch auf die nicht unerheblichen gesetzlichen Eingliederungshilfen nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG), doch da sich die Verfahren zur Anerkennung gem. HHG aus recht unterschiedlichen Gründen - von Beweisnot überfehlende Haushaltsmittel und schwache Sachbearbeiter bis zur administrativen Sabotage aus ideologischen Vorbehalten und
Neidkomplexen heraus - häufig über lange Jahre hinzogen, war die Not oft groß. In solchen Lagen konnte die Stiftung einige Jahre hindurch, solange das Stiftungsvermögen es zuließ, mit einmaligen Unterstützungen zwischen 1.000 und 5.000 DM in Hunderten von Fällen wirkungsvoll helfen, in Härtefällen auch wiederholt. Da die Antragsteller der " Erlebnisgeneration", damals im Alter von 50-80 Jahren, sich meist mündlich wie schriftlich noch recht gut bis ausreichend auf Deutsch ausdrücken konnten und nicht wenige das Bedürfnis hatten, in oft längeren Berichten das Familienschicksal darzulegen, gewann ich durch die Vielzahl der Zeugnisse zunehmend ein umfassendes Bild von den schrecklichen Ereignissen von 1932 bis 1955. Die karge, nüchterne und altertümliche Sprache. die fast holzschnittartig von Not und Tod, aber auch vom Wiederzusammenfinden der dezimierten Familien und vom oft nicht leichten Entschluß ins "Land unserer Vorväter" heimzukehren, berichtete, ohne jede Wehleidigkeit und Dramatisierung, ohne eine Spur der Tränen, die doch reichlich geflossen sein müssen - diese Sprache und die dahinter stehenden Schicksale haben mich tief und nachhaltig beeindruckt. Seitdem fühle ich mich den Russlanddeutschen eng verbunden, ganz besonders natürlich der älteren Generation, die ihrer Nationalität wegen massiv verfolgt wurde und überwiegend aus diesem Grunde nach Deutschland kam. So werde ich der" Friedlandhilfe" auch künftig treu bleiben und Ihre wichtige und verdienstvolle Arbeit im Rahmen meiner Möglichkeiten unterstützen. In großer Hochachtung vor der Arbeit der " Friedlandhilfe " und dem persönlichen Engagement für diese gute Sache bin ich mit den besten Grüßen.

Ihr A.B.

 
*Ulla Lachauer: Ritas Leute - Eine deutsch-russische Familiengeschichte. Rowohlt-Verlag